Damit fange ich jetzt mal was an. Für ein Museum in Tosterglope

Ich hatte mit Museen bislang nicht so viel am Hut. Also, ich meine, mit reinen Kunstmuseen schon – dieses ambivalente Gefühl zwischen Sich-Erhoben-Fühlen und Erschöpft-Sein nach dem Besuch einer Kunstausstellung ist schon einmalig. Andere Museen interessieren mich meist nicht so sehr. Ich habe immer gedacht, das läge an meiner Ignoranz gegenüber solchen schweren, bildungsbürgerlichen Institutionen. Museum, da spielt auch ganz viel Kindheit rein, die Klischees von Stille und Staub, ausgestopften, räudigen Tieren und nichts anfassen dürfen. So war es zumindest in meiner Jugend, heute mag es für Kinder anders sein.
Ich habe aber mittlerweile festgestellt, dass es sich weniger um Ignoranz als um Misstrauen handelt. Und dass es zwei Arten von Museen gibt. Die einen – die großen, die bekannten, die nationalen – sind pure Angeberei. Seht her, was unsere Nation alles hervorgebracht hat! Was wir schon bewegt haben, während andere Völker noch im Staub herumgekrochen sind! Diese Museen dienen einzig dem Zweck der Repräsentation und der Selbstvergewisserung. So wie gotische Gotteshäuser den Menschen das Fürchten lehren sollten, so soll er im Museum vor Ehrfurcht erstarren. Imposante Paläste mit überdimensionalen, goldgerahmten Gemälden; polierte Vitrinen, rotsamtene Absperrkordeln und WärterInnen in Livrée. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an den Geschichtsunterricht während meiner Schulzeit: es wurden Kaiser und Könige gekrönt und entthront; Länder gingen Allianzen ein oder bekriegten sich; Politiker kamen an die Macht und verloren sie wieder. Ich will damit gar nicht sagen, dass dieses Wissen grundsätzlich überflüssig ist. Aber es bleibt immer abstrakt.
Entsprechend liefern die nationalen Exponate in einem Museum keine Hinweise auf die Geschichten unter der Oberfläche. Es wird vielmehr ein willkürlich ausgewählter, politisch motivierter Kanon ausgestellt, der ein möglichst glanzvolles Bild einer Nation entwerfen soll. Ich glaube, dass sich mein Misstrauen aus diesem Umstand speist. Ich habe das Gefühl, im doppelten Wortsinn geblendet zu werden. Diese Art von Geschichtsschreibung interessiert mich einfach nicht.
Damals in der Schule hatten wie nur eine Lehrerin, die uns erzählte, wie die Menschen in einer bestimmten Epoche gelebt haben. Die ganz normalen, durchschnittlichen Bürger und Bauern, die Leibeigenen und die Untertanen. Das war interessant! Und anschaulich! Und lebendig!
Damit kommen wir zu den anderen Museen. Die kleinen, weniger bekannten Museen, oft private Sammlungen, die mit Hingabe aufgebaut und betrieben werden. Da, wo jedes Ausstellungsstück eine Seele hat, weil es mit Liebe gesehen und gesammelt wurde. Wo ein Mensch zu seinesgleichen spricht und sagt: Guckt mal, das hier und das ist mir wichtig und zeigenswert, möchtet ihr das mit mir teilen? Diese Museen berühren den Besucher, denn sie geben den Blick frei auf ein individuelles, einzigartiges Leben. Und damit gleichzeitig auf die Mühsal, die seit jeher damit verbunden ist. Und auf den Stolz, trotz dieser Mühsal dem Leben einen Moment voller Schönheit und Dauer abgetrotzt zu haben.
Was würde ich in meinem Museum zeigen? Ich würde einmal die absolute, rabenschwarze, majestätische Dunkelheit ausstellen, die in meinem Dorf herrscht und die durch keine Straßenlaterne verdünnt wird. Und dazu den Sternenhimmel, der diese Dunkelheit immer wieder in eine für mich Ex-Stadtmenschen unfassbare, funkelnde Vorstellung der Unendlichkeit verwandelt. Ich würde das alte Neetzendorfer Bahnwärterhäuschen samt Schuppen, Garten und Bewohnern ausstellen (das kann man übrigens im Rahmen der Kulturellen Landpartie wirklich besuchen!). Ich würde die Schüssel aus Steingut ausstellen, in der erst meine Großmutter und dann meine Mutter seit Jahrzehnten den Teig für den Weihnachtsklöben anrührten und das dazugehörige, handschriftlich mit Preisen versehene Rezept vom Kaufmann, wo das halbes Pfund Butter eine Mark sechzehn kostete.
Ich würde meine ersten beiden Schallplatten ausstellen. Und die Brille meines Vaters. Zwei Tomaten und ein Glas Milch und seinen roten Pullover mit V-Ausschnitt. Und den Aschenbecher, den meine Mutter für ihn getöpfert hat.
Was für eine großartige, befreiende Vorstellung, die Institution Museum zu besetzen, wie man ein leerstehendes Haus besetzt und sie nach Belieben neu mit Leben zu füllen!
Ich wäre aufgeregt und auch ein bisschen stolz, meine Sammlung zu präsentieren und ich würde sie immer wieder verändern. Ich würde Feste feiern in meinem Museum und meine Freunde einladen, Ihre Dinge bei mir auszustellen. Mein Museum wäre ein Treffpunkt für alle, und es gäbe immer etwas Neues zu entdecken, etwas worüber man staunen könnte und ins Gespräch kommen und alle wären eingeladen, mitzumachen.
Mann, wie ich die Menschen in Tosterglope beneide!

„Die Zukunft der Museen liegt in unseren Wohnungen und Häusern.“
(Orhan Pamuk)

www.kunstraum-tosterglope.de