Damit fange ich jetzt mal was an: Über die Dinge

Im öffentlichen Diskurs herrscht allgemein Einigkeit darüber, dass wir – leider immer noch – in einer konsumorientierten Wegwerfgesellschaft leben; dass wir viel zu viele Dinge besitzen und der Königsweg à la „simplify your life“ darin besteht, soviel wie möglich wegzugeben oder wegzuschmeißen, um ein besseres, leichteres, quasi „entschlacktes“ Leben führen zu können. Das klingt zunächst verführerisch und erstrebenswert. Aber ganz so leicht ist das nicht, denke ich.
Dass unser Verhältnis zu den Dingen nicht so oberflächlich, sondern sehr viel komplexer ist, wird wohl am besten an den Rändern und in den Extremen deutlich.
Da gibt es z.B. die leidenschaftlichen Sammler, die viel Zeit und Energie aufwenden, um ihre Sammlung zu vervollständigen. Da sind die Pärchen, die beim Zusammenziehen (also dem Zusammenführen von zwei in sich geschlossenen Systemen) in den meisten Fällen eine echte Krise durchmachen. Da sind die sogenannten Kriegskinder, deren massive Eichen-Schrankwände nicht nur ästhetische Bedürfnisse befriedigen, sondern vielmehr ein Bollwerk gegen Flucht, Vertreibung und Armut bilden sollen. Die Unfähigkeit dieser Generation, irgendetwas wegzuwerfen, ist schon jetzt legendär. Und da ist der Messie. Er ist daran gescheitert, die Dinge beherrschen zu wollen und wird nun von ihnen beherrscht. Er kann nicht mehr differenzieren. Alles ist gleich wichtig und aufbewahrenswert.
Die Dinge sind also nicht bloß Dinge, die wir nach Lust und Laune benutzen können und die danach wieder unsichtbar werden. Vielmehr – und jetzt bewegen wir uns von den Rändern weg hin zu einer imaginären Mitte – spiegeln die alltäglichen Objekte, mit denen wir uns umgeben, nicht nur unsere Persönlichkeit wider, sondern spielen auch eine große Rolle für unser Verhältnis zu uns selbst und zu anderen Menschen.
Wir leben in einer postmodernen Gesellschaft, die weitestgehend von Zwängen befreit ist. Wir können unsere Identität so zusammenstellen, wie es uns gefällt. Weder Staat noch Familie üben in der Regel Druck auf uns aus; die Möglichkeiten, ein Leben zu gestalten, sind schier unendlich. Den Dingen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie sind Anker, Anhaltspunkte, Wegmarken. Wir benutzen sie, um unserem Leben eine Form zu geben, um unsere eigene Ästhetik zu entwickeln. Wir wählen Dinge aus und laden sie mit Bedeutung auf. Wir wählen Fülle oder Leere, Flüchtigkeit oder Dauer, Offenheit oder Abgeschiedenheit, Zerstreuung oder Konzentration. Wir grenzen uns mithilfe der Dinge ab, von den anderen und oft auch von den Schatten unserer Vergangenheit.
Jeder von uns lebt in seinem persönlichen Mikrokosmos, und dieser wird durch die Dinge, mit denen wir uns umgeben, definiert. Sie werden dabei zu Symbolen, zu Zeichen, über die  wir mit anderen kommunizieren. Die Dinge helfen uns, Beziehungen aufzubauen, zu gestalten und zu entwickeln – sei es über die Fernsehsendungen, die wir als Kind gesehen haben oder über die Souvenirs, die wir von Reisen heimbringen. Über den geerbten Schmuck der Mutter, die Rolex oder das Bauchnabel-Piercing. Über das Handeln bei ebay oder das Abo der Segelzeitschrift. Und ein Mikrokosmos verfügt naturgemäß über eine eigene kleine Kosmologie – eine Summe von Glaubenssätzen, also letztlich ein Wertesystem. An der Stelle, wo anderswo die Ordnung ganzer Gesellschaften auf einer kohärenten Kosmologie gründet, steht in unserer postmodernen Gesellschaft die Kosmologie des Individuums. Und diese Kosmologie, die aus den Dingen abgelesen werden kann, sagt unendlich viel mehr über ein Individuum aus als es Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe,  Religion und sexuelle Orientierung jemals könnten.
Schätzen Sie die Dinge also nicht gering. Es könnte sein, dass sie es sind, die uns ausmachen…

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